März 2020 Im Interview

ES DROHEN ZOMBIES UND JAPANISCHE VERHÄLTNISSE

Finanzierungsexperte Jonas Eckhardt berichtet im creditshelf Magazin über Chancen und Risiken der Nullzinspolitik für den Mittelstand und die Gesamtwirtschaft.

Jonas Eckhardt Partner für Corporate Finance bei der Falkensteg GmbH

Jonas Eckhardt

... ist seit 2017 Partner für Corporate Finance bei der Falkensteg GmbH. Er gilt als ausgewiesener Experte in der Begleitung von Distressed M&A-Transaktionen sowie für die Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen. Vor seiner Zeit bei Falkensteg war er als Director bei der M&A-Beratungsgesellschaft perspektiv, bei Capgemini Consulting in der Strategieberatung sowie bei Deloitte & Touche in der Wirtschaftsprüfung tätig. Der 37-Jährige ist Steuerberater, zertifizierter ESUG-Berater und Diplom-Betriebswirt. 

Prof. Dr. Dirk Schiereck

Prof. Dr. Dirk Schiereck

Hat die Nullzinspolitik die Unternehmen allgemein und im Besonderen die notleidenden Unternehmen in eine bessere finanzielle Lage versetzt?

Jonas Eckhardt

‚Gesunde‘ Unternehmen profitieren aktuell von den niedrigen Zinsen und können über Bankkredite günstig in neue Technologien, Produktionsmittel und notwendige Strukturveränderungen investieren. Anders stellt sich die Situation für Unternehmen in der Krise dar: Notleidende Firmen bekommen heute praktisch keine nennenswerten Kredite mehr von Banken. Dafür sorgen die Erfahrungen aus der letzten Finanzkrise und die daraus resultierenden höheren Hürden bei der Kreditvergabe. Krisennahe Unternehmen sind daher gezwungen, auf alternative Finanzierungsinstrumente zurückzugreifen: Anbieter von Sale-and-lease-back, Factoring oder Lagerfinanzierung verfügen über ausreichend Liquidität, die sie aufgrund des allgemeinen Anlagedrucks günstig erhalten. Einen Teil dieses indirekten Zinsvorteils durch die aktuelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank geben sie an ihre Kunden weiter – auch an notleidende Unternehmen. Nichtsdestotrotz liegen die Zinsen hier häufig noch im zweistelligen Bereich und damit weit entfernt von der Nulllinie der EZB. 

Jonas Eckhardt
Prof. Dr. Dirk Schiereck

Prof. Dr. Dirk Schiereck

Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, immer mehr Zombie-Unternehmen zu bekommen – also Firmen, die nur noch aufgrund der Niedrigzinspolitik zahlungsfähig sind?

Jonas Eckhardt

Aktuell ist sehr viel Geld im Markt auf der Suche nach attraktiven Anlagemöglichkeiten. Der so entstehende Anlage- und Bieterdruck marginalisiert zusehends Renditen bei konventionellen Anlageklassen. Kriselnde Unternehmen finden daher häufig spätestens bei Asset-Based-Lendern oder im Private-Equity-Bereich Finanzierungsmöglichkeiten. Zum Teil verzögern oder überdecken diese Refinanzierungen eigentlich notwendige harte Sanierungsschnitte oder auch einen Insolvenzantrag. Es lässt sich zudem beobachten, wie Krisenunternehmen auch nach einem zweiten und dritten Insolvenz-Folgeverfahren wieder Investoren finden, obwohl sie längst aus dem Markt ausscheiden müssten. Bei diesen Unternehmen sind alle Vermögenswerte bereits über Sale-and-lease-back veräußert, die Kundenbeziehungen nachhaltig gestört und die Know-how-Träger abgesprungen. Der Kapitalüberschuss im Markt schafft damit substanzlose Zombies, die sich von einer Insolvenz zur nächsten schleppen. Die Problemlösung – der endgültige Marktaustritt – wird dabei auf der Zeitschiene nur immer weiter nach hinten verlagert. 

Jonas Eckhardt
Prof. Dr. Dirk Schiereck

Prof. Dr. Dirk Schiereck

Was denken Sie: Wann wird die EZB die Zinsen anheben?

Jonas Eckhardt

Ich denke, dass dies in den kommenden zwei Jahren nicht passieren wird. Trotz der niedrigen Zinsen stecken zu viele Unternehmen in nachhaltigen wirtschaftlichen Problemen, beispielsweise aufgrund der schwelenden Handelskriege, der anhaltenden Brexit-Unsicherheit, aber insbesondere auch disruptiver technologischer Umbrüche wie in der Automobilindustrie. Aktuell drohen etliche Unternehmen in die Insolvenz zu kippen – beim Versuch, sich komplett neu aufzustellen, oder auch mangels Versuch. Wenn das bei großen Marktteilnehmern passiert, können auch deren Zulieferer ins Straucheln geraten. Es ist aktuell geld- und währungspolitisch viel Fantasie und Geschick gefragt, um die Situation nicht in japanische Dimensionen abgleiten zu lassen: Dort gibt es schon länger eine Nullzinspolitik mit Deflation und wirtschaftlicher Schwäche. Zudem altert die Gesellschaft rapide, und Regierung sowie Notenbank finden keinen Ausweg aus dem Negativkreislauf. Bei vielen dieser Entwicklungen ist Deutschland nur ein paar Jahre hinterher und sollte das Beispiel Japans bei der Problemlösung stets im Blick behalten.

Jonas Eckhardt
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